Kapitel: Ein Engel für Helsinki (Ausschnitt)
Manche Engel, scheint’s, werden nicht vom lieben Gott gesandt, sondern beginnen ihren Erdenweg ganz profan und unprätentiös, beispielsweise in Berlin. Dort wurde nämlich 1778 ein kleiner Engel geboren und erhielt die Vornamen Carl Ludwig. Dass er mit 38 Jahren mal den Finnen ihr Hauptstadtzentrum planen und erstellen würde, ahnten seine Eltern damals sicherlich nicht…
Bis dahin war es allerdings auch ein verschlungener Weg: Erst einmal musste er sein Architekturstudium in Berlin absolvieren, dann baute er für die preußischen Soldaten dort die Militärbäckerei und wurde anschließend passenderweise „brotlos“, weil die Franzosen in Berlin auftauchten und die Stadt besetzten.
Was tat Carl Ludwig? Er sagte Mama und Papa „Adieu“ und machte sich auf nach Tallinn (das damals aber noch Reval hieß), weil die Esten einen Baumeister für ihr Stadtarchiv suchten. Den Auftrag führte er aus, zur Zufriedenheit der Beteiligten, worauf der russische Herrscher Alexander der I. ihn zunächst nach St. Petersburg holte und dann 1816 mit der Planung eines repräsentativen Zentrums für die neue Hauptstadt Helsinki im damaligen Großfürstentum Finnland beauftragte. Während des Krieges zwischen Schweden und Russland hatten die Russen nämlich 1808 die Stadt erobert, und eine Feuersbrunst hatte die Innenstadt fast vollständig zerstört. Zar Alex, der Schlaukopf, wollte die Hauptstadt seines neugewonnenen Großfürstentums näher bei St. Petersburg haben: Das bis dahin als Verwaltungssitz fungierende Turku/Åbo war ihm zu weit und außerdem der schwedischen Ostküste genau gegenüber gelegen… Daher setzte er 1812 einfach fest: Helsinki wird neue Hauptstadt. Was die Turkusianer nicht unbedingt freute. Aber so sind Herrscher nunmal.
Wie das Leben so spielt: Die Kriegsfolgen begründeten das bautechnische und planerische „Paradies“ für den Engel Carl Ludwig aus Berlin… Jetzt konnte er loslegen: Dom, Senatsplatz, Universitäts-Hauptgebäude und Nationalbibliothek, Präsidentenpalast und in den folgenden Jahren unzählige Bauten im ganzen Land, angefangen von Herrenhäusern über Kirchen bis hin zu Verwaltungsgebäuden tragen seine Handschrift.
Und – ich muss das schon wegen des Namens dieser Gemeinde hier schreiben – in einem Ort nahe der Stadt Lahti (ich hoffe, ihr erinnert euch noch an die korrekte Aussprache?) hat er den Glockenturm der örtlichen Kirche entworfen. Das hat mir mein treuer Freund Matti (ihr wisst schon: der mit der munteren Ehefrau Päivi, dem Sommerhausgrundstück und den pontikka-Kenntnissen, von dem ich in „Finnen? Finnen!“ im Kapitel „Appetithäppchen“ erzählte) berichtet. Der Grund, dessentwegen ich das hier erwähne, ist, dass dieser Ort zu Mattis und meinen Lieblingsortschaften in Finnland gehört. Warum? Nun, wegen seines einprägsamen Namens.
Damit ihr das versteht, will ich verraten: Der lautet so, dass er sich sogar nach ausgedehnten Alkoholexzessen noch völlig unproblematisch aussprechen lässt. Ich meine die Gemeinde Hollola, einen Ort westlich von Lahti mit etwa 21000 Einwohnern. Nicht ohne entsprechend „flüssigen“ Hintergrund hatte Matti dereinst im Schein der Mitternachtssonne sein „Hollola-laulu“ („laulu“ = „Lied“) angestimmt, am Lagerfeuer. An den genauen Text kann ich mich leider nicht mehr erinnern, Matti wohl auch nicht. Bruchstückhaft sind mir noch mehrere „Hollolas“ und „Hallolis“, „Hullulus“ („hullu“ = „Blödmann“) und „Hallalas“ im Gedächtnis, die wahrscheinlich den Hauptteil des anspruchsvollen Liedtextes ausmachten…